Aber wie entsteht eigentlich Musikgeschmack? Warum lieben wir, was wir hören? Diesen Fragen wollen wir in diesem Artikel nachgehen.
„Musik drückt aus, wer wir sind – emotional, kognitiv und sozial.“
Das sagt Jason Rentfrow, Psychologie-Professor an der Universität Cambridge.2Greenberg, D., Baron-Cohen, S., Stillwell, D., Kosinski, M. & Rentfrow, P. J. (2015). Musical Preferences are Linked to Cognitive Styles. PLOS ONE, 10(7), e0131151. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0131151 Deshalb ist es auch nicht verwunderlich, dass der Musikgeschmack und dessen Entstehung schon seit vielen Jahren immer wieder Untersuchungsgegenstand vieler Studien ist. In der Wissenschaft spricht man gern auch von der Musikalischen Sozialisation. Sozialisation bedeutet die wechselseitige Beeinflussung von Individuum und Gesellschaft. Und diese lässt sich in 4 Stadien unterteilen, wobei den ersten beiden eine wichtigere Rolle zukommt und daher in der Forschung auch deutlich häufiger betrachtet werden.
Inhalt
Die Grundlage des Musikgeschmacks legen die Eltern.
1. Prägungsphase
Im ersten Stadium, der Prägungsphase, wird ein Kind von seiner Familie, Freunden und der Gesellschaft beeinflusst. Es lernt vor allem über die Musik seiner Eltern, aber auch durch kulturelle Faktoren wie Fernsehen, Schulunterricht und religiöse Rituale. Dies gibt dem Kind eine starke Anleitung für den Musikgeschmack, die den Grundstein für die Entwicklung in den nächsten Stadien legt.
2. Explorationsphase
Ab etwa 11 Jahren beginnt das zweite Stadium – die Explorations- oder Biographiesierungsphase. In diesem Stadium erforschen Jugendliche verschiedene musikalische Genres und entwickeln ihre eigenen Vorlieben und Abneigungen. Ihnen steht nun mehr Zeit und Geld zur Verfügung, um neue Musik zu rezipieren und auch aktiv auszuüben. Außerdem festigen sie Kontakte zu anderen Jugendlichen mit ähnlichem Musikgeschmack. Diese so genannten Peergroups spielen eine zentrale Rolle in der Auslebung und Manifestation musikalischer Vorlieben und der Zugehörigkeit zu bestimmten Kulturkreisen. Sie tragen außerdem zur Lösung elterlicher Autoritäten bei. Die Mehrheit der Menschen reagiert in dieser Phase stark auf Trends – also bestimmte Musikrichtungen oder Interpreten – und orientiert sich an ihnen.
3. Konformitätsphase
Im dritten Stadium der musikalischen Sozialisation, der Konformitätsphase, stellen junge Erwachsene fest, welches musikalische Genre ihnen am besten gefällt. Sie untersuchen ihren Musikgeschmack genauer, verfeinern ihre Vorlieben und mischen verschiedene Genres miteinander. In diesem Lebensalter kann man relativ unabhängig über seinen Lebensstil entscheiden und trifft wichtige Entscheidungen für den weiteren Lebensweg. Geprägt wird diese Zeit durch die Lösung vom Elternhaus, die Gründung einer eigenen Existenz, aber auch neue Lebensgemeinschaften und Bekanntschaften.
Wissenschaftliche Studien belegen, dass eine sehr stabile Präferenz, also eine Vorliebe, für die Musik ausgebildet wird, die man zwischen dem 23. und 24. Lebensjahr besonders gern gehört hat. Eine Studie aus dem Jahr 2004 zeigt, dass es eine weitere sensible Phase zwischen dem 30. und 40. Lebensjahr zu geben scheint, in der eine Vorliebe für klassische Instrumentalmusik entsteht.3Entwicklung von Musikpräferenzen im Erwachsenenalter : eine explorative Untersuchung / von Antje Bersch-Burauel. 2004. (o. D.). https://digital.ub.uni-paderborn.de/hsmig/content/titleinfo/3586 Es lässt sich auch sagen, dass die Präferenz für hochkulturelle, klassische Musik mit dem Alter signifikant zunimmt. Die Musik dient der Auswahl des sozialen Umfelds und „kann als Indikator für Lebensstil, Charakter, Bildung und geistiges Niveau angesehen werden“4Reu, S. (1995). Musik und Beziehung – Musikpräferenzen in Heiratsannoncen. In H. Gembris, R.-D. Kraemer & G. Maas (Hrsg.), Musikpädagogische Forschungsberichte 1994 (S. 327-334). Augsburg: Wißner.
Im Alter werden ehemalige Hobbys und Vorlieben wieder reaktiviert.
4. Ruhestand
Als letztes Stadium der musikalischen Sozialisation betrachten wir den Ruhestand. In dieser Zeit entwickeln sich neue Formen der Partizipation an Kultur und gesellschaftlichen Engagements. Es werden alte Vorlieben wieder aufgegriffen, musikalische Hobbys reaktiviert und die Teilnahme am Musik- und Kulturleben bekommt eine neue, soziale Komponente. Im Alter steigt auch das Bedürfnis nach Ruhe, Harmonie und Ordnung, was eine Kausalität zur signifikant höheren Rezeption klassischer Musik in diesem Lebensabschnitt bildet.
Bildung
Neben diesen Aspekten spielt auch die Schul- und Berufsbildung eine wichtige Rolle in der Ausprägung musikalischer Vorlieben. So lassen sich aus der Allensbacher Werbeträger Analyse aus dem Jahr 2006 zum Thema Bevorzugte Musikrichtungen interessante Rückschlüsse ziehen.5https://miz.org/de/statistiken/bevorzugte-musikrichtungen-nach-geschlecht
14,1% der Personen ohne Schulabschluss und Lehre gaben an, dass sie Jazz hören. Demgegenüber stehen 51% der Befragten mit Hochschulabschluss, die sich selbst als Jazzhörer bezeichneten.
Ähnlich verhält es sich bei der Konzertmusik. Unter gering gebildeten betrug der Anteil 22,5%, wohingegen 64,1% der Absolventen einer universitären Bildung angaben, eben diese Musik zu hören.
Es gibt auch Untersuchungen zum Einfluss von sozialen Milieus auf die Entwicklung des musikalischen Geschmacks. Dabei lässt sich aber konstatieren, dass nur geringe Effekte dieser Milieus nachweisbar sind. „Musik hat keinen Klassencharakter, aber vielfach ist sie Mittel zur sozialen Distinktion“6Kleinen, G. (2008). Musikalische Sozialisation. In H. Bruhn, R. Kopiez & A. C. Lehmann (Hrsg.), Musikpsychologie. Das neue Handbuch (S. 37-66). Reinbek bei Hamburg: Rohwolt Tashenbuch Verlag.
Geschlecht
Was wiederum einen starken Einfluss auf die Musikpräferenzen hat, ist das Geschlecht. In der Allensbacher Werbeträger Analyse dominieren Männer in den härteren Varianten von Pop- und Rockmusik und beim Jazz, wohingegen Frauen für eine deutlich größere Anzahl von Musikrichtungen, wie Schlager, Tanzmusik, Chanson, Musicals, Oper und Klassik eine Präferenz haben.
Fazit
Du merkst also: Die Entwicklung des Musikgeschmacks hängt von sehr vielen, individuellen Faktoren ab. Überleg doch mal, was waren prägende Stationen in deiner musikalischen Biographie?
Wenn du deine musikalische Biographie näher betrachten willst, empfehle ich dir unseren Kurs von Hanno Busch – Finde deinen Sound.
Greenberg, D., Baron-Cohen, S., Stillwell, D., Kosinski, M. & Rentfrow, P. J. (2015). Musical Preferences are Linked to Cognitive Styles. PLOS ONE, 10(7), e0131151. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0131151
Reu, S. (1995). Musik und Beziehung – Musikpräferenzen in Heiratsannoncen. In H. Gembris, R.-D. Kraemer & G. Maas (Hrsg.), Musikpädagogische Forschungsberichte 1994 (S. 327-334). Augsburg: Wißner.
Kleinen, G. (2008). Musikalische Sozialisation. In H. Bruhn, R. Kopiez & A. C. Lehmann (Hrsg.), Musikpsychologie. Das neue Handbuch (S. 37-66). Reinbek bei Hamburg: Rohwolt Tashenbuch Verlag.
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